Dass alle Aufmerksamkeit auf seine Person gelenkt wird, ist er nicht gewohnt. So steht er da, schaut mit einem zaghaften Lächeln durch seine Brillengläser auf die Menschen, die ihm applaudieren. Es ist der 16. September, und Harald Meißner ist Ehrengast auf der Jubilarfeier der S-Bahn Berlin in der Alten Försterei, denn er ist der älteste aktive Lok­führer Deutschlands.

Schon im Alter von fünf Jahren wollte Meißner Lokführer werden. Woher das kam, weiß er nicht, denn „wir haben in der ganzen Familie weit und breit keinen Eisenbahner“, sagt er. Doch Schienen und Züge zogen den jungen Berliner vom Ostkreuz magisch an – und so trat er im Mai 1960 der Parkeisenbahn bei, die damals Pioniereisenbahn hieß. Er arbeitete in den Ferien 1966 als Straßenbahnschaffner und nach beendeter Armeezeit auch als Straßenbahnfahrer bei der BVG.

Am 1. September 1966 startete er seine Ausbildung zum Schienenfahrzeugschlosser im Reichsbahn­ausbesserungswerk Schöneweide.


Fahrmeister 1984, Foto: privat

 

1973 ging Meißner zum S-Bahnwerk Friedrichsfelde, wo er erst als Schlosser arbeitete, bevor er seine Ausbildung zum Triebfahrzeugführer absolvierte – sein Traumjob. „Die S-Bahn war für mich von Anfang an wie eine Familie, ich habe mich unter den Kollegen immer sehr wohlgefühlt“, erinnert er sich. Dabei fuhr er mit verschiedensten Baureihen durch die Hauptstadt. Mit seiner Lieblingsbaureihe 481 fährt er immer noch gern, und auf der Linie S2 zwischen Bernau und Blankenfelde ist er am liebsten unterwegs.

So dreht sich sein ganzes Leben um die Bahn – und während andere Kolleginnen und Kollegen in Rente gingen, machte er weiter. Nicht mehr arbeiten zu gehen und zu Hause zu bleiben, war für ihn keine Option. Im Februar wurde Harald Meißner noch vom damaligen Bahnchef Dr. Lutz empfangen und geehrt, was ihn sehr freute. „Damit hatte ich nicht gerechnet, und es war ein sehr emotionaler Moment“, sagt der 75-Jährige. „Aber meine Arbeit ist eben das, was ich gern tue. Für mich ist S-Bahn-Fahrer wirklich der beste Job der Welt“, erklärt er. „Die Leute fangen immer an zu lachen, wenn ich das sage – ich meine das wirklich so. Im Führerstand auf der Strecke zu sein und tausende Fahrgäste tagtäglich durch Berlin zu fahren, ist meine Leidenschaft, und ich habe es jede Minute genossen.“


(Mitte) BVG Fahrschule 1971, Foto: privat

 

Und diese Begeisterung hat er auch immer gezeigt: So erinnert sich Meißners Teamleiter Thomas Köhler: „Wenn Harald in die Melde­stelle kam, war trotz seines fortgeschrittenen Lebensalters immer ein Lächeln in seinem Gesicht zu sehen.“ Ebenso erlebte es Sabine Hamperl, Leiterin Betrieb, Service und Pünktlichkeit: „Ich habe Sie immer so positiv erlebt, für Sie war das Glas immer halb voll. Sie sind ein Teil S-Bahn!“

Er würde auch gerne noch weiter­fahren, doch seine Knieprobleme hindern ihn nun daran. „Das Fahren ist nach wie vor kein Problem, aber es könnte ja auch mal eine Störung kommen. Und dann auf offener Strecke aus dem Führerstand aus­steigen zu müssen, wird für mich sehr schwierig. Das fällt schon gesunden und jungen Kollegen nicht leicht“, sagt er. „Da muss ich nun schweren Herzens aufhören. Vor allem das Fahren und die Fahrgäste werde ich vermissen. Bis 80 hätte ich auf jeden Fall noch weitergemacht …“

 

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