Als Anfang Juni der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in Berlin zu Gast war, um gemeinsam mit anderen Politiker:innen über den Wiederaufbau der Ukraine zu beraten, hatte das auch Auswirkungen auf den öffentlichen Nahverkehr und Verkehrs­unternehmen wie DB Regio Nordost und die S-Bahn Berlin. Wegen der Polizeieinsätze zum Schutz der Konferenz-Teilnehmer:innen mussten immer wieder einzelne Streckenabschnitte gesperrt werden. Solche Staatsbesuche stellen nicht nur für die Fahrgäste sondern auch für die Mitarbeiter:innen in den Leitstellen eine Herausforderung dar. Im Interview mit punkt 3 gibt Gordon Bratke einen Einblick, wie sich die Arbeitsabläufe dann verändern und welchen Einfluss die Polizeieinsätze auf den gesamten Betrieb haben. Er ist als Disponent Fahrbetrieb Süd/Schichtleiter in der Leitstelle+ tätig und war auch beim jüngsten Staatsbesuch im Einsatz.

Herr Bratke, wie weit im Voraus erfahren Sie in der Leitstelle+ von einem solchen Staatsbesuch?
Gordon Bratke: Wir haben aufgrund der Geheimhaltungsstufe davon erst extrem kurzfristig erfahren, damit die Sicherheit der Teilnehmenden nicht weiter gefährdet wird. An den betref­-
fenden Tagen erhält DB InfraGO dann von der Bundespolizei die Anweisung, auf bestimmten Streckenabschnitten nur noch auf Sicht zu fahren.

Was heißt das?
Gordon Bratke: Das bedeutet, dass die Strecken zwar noch befahrbar sind, aber nur noch mit Schrittgeschwindigkeit gefahren werden darf. Denn im Gleisbereich stehen Polizisten und Polizistinnen der Bundespolizei, um einen guten Überblick auf die Straße zu haben und die Fahrstrecke der Staatsgäste abzusichern.

Wie geht es dann weiter?
Gordon Bratke: DB InfraGO gibt die Anweisung an unsere Betriebs­zentrale in Pankow durch. Gemeinsam mit dem Netzkoordinator wird dann ein Konzept erstellt, welches Programm gefahren wird, welche Umleitungsstrecken genutzt werden können. Dafür stimmen wir uns mit den anderen Eisenbahnverkehrsunternehmen wie ODEG und DB Fernverkehr ab. Teilweise werden auch Krisenstäbe eingesetzt, um ein Verkehrskonzept aufzustellen – hier greifen viele Rädchen ineinander.

Wo lagen bei diesem jüngsten Staatsbesuch die Herausforderungen?
Gordon Bratke: Diesmal waren viele Gäste da, das machte die Lage sehr herausfordernd. Wir haben erst kurz vorher erfahren, wo als nächstes gesperrt wird. Außerdem waren sehr viele Strecken betroffen – neben der Stadtbahn auch der alte und neue Flughafen sowie die Nord-Süd-Verbindung. Auch aus diesem Grund war es schwierig, den Betrieb aufrechtzuerhalten. Wir sind bemüht, die Züge weiter fahren zu lassen, aber man weiß nicht, wann und wo das nächste Schlagloch kommt. Die Alternative wäre, dass gar nichts fahren würde.

Wie gut funktioniert in so einem Fall die Information für die Fahrgäste?
Gordon Bratke: Wegen des großen Umleitungsverkehrs und der vielen Anfragen waren die Server zeitweise schon überlastet. Aber natürlich befüllen die Disponenten und Disponentinnen in der Leitstelle weiterhin die Infosysteme und stimmen sich für Prognosen mit den Zugbegleiterinnen und Zugbegleitern sowie DB InfraGO ab. Mein Appell an die Fahrgäste: Auch wenn es nicht so gut läuft und die Geduld am Ende ist, bitte niemals selbstständig aus einem Zug aussteigen, der auf freier Strecke zum Halten gekommen ist. Es besteht Lebensgefahr!

Wie erleben Sie in der Leitstelle eine solche Aus­nahmesituation?
Gordon Bratke: Es ist wichtig, Prioritäten zu setzen. Welche Linien sind sinnvoll zu fahren? Wo gibt es zum Beispiel Parallelverkehr mit der S-Bahn und wo ist es möglich, Linien auszudünnen? Da gilt es vor allem, einfach Ruhe zu bewahren.

Ein Ratschlag, den man auch den Fahrgästen an diesen Tagen geben konnte.
Gordon Bratke: Wir verstehen natürlich, dass die Situation für unsere Fahrgäste sehr herausfordernd war – und können nur um Verständnis bitten. Wir haben keinen Einfluss auf den Besuch und müssen uns an die be­hördlichen Auflagen halten. Wir sind aber immer bemüht, schnell wieder in den Regelbetrieb umzuschalten.

 

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